
Die neue CDU-geführte Bundesregierung steht vor der dringenden Aufgabe, Deutschlands Position in der digitalen Welt zu stärken. Insbesondere im Bereich der Künstlichen Intelligenz (KI) gilt es, bestehende Defizite zu beheben und zukunftsweisende Maßnahmen zu ergreifen.
Es gilt keine Zeit zu verlieren!
Bis Ostern möchte sich Friedrich Merz Zeit nehmen, um eine neue Regierung für Deutschland zu bilden. Fest steht: Es wird auf eine Koalition mit der SPD hinauslaufen – eine Neuauflage der einstigen GroKo, die dieses Mal aber vor einer völlig anderen Ausgangslage steht. Deutschland hat nach Jahren der politischen Lähmung, wirtschaftlichen Stagnation und technologischen Rückstände die Chance, einen echten Neustart hinzulegen.
Doch bis Ostern sind es noch knapp acht Wochen – im Internetzeitalter eine halbe Ewigkeit. Während in dieser Zeit in den USA neue KI-Start-ups entstehen und in China bereits die nächste Generation von Halbleitertechnologien erprobt wird, laufen in Deutschland noch Sondierungsgespräche. Das mag zwar klug sein, um die Fehler der Ampel-Regierung – vor allem in puncto fehlender Einigkeit und Strategie – zu vermeiden. Doch es darf nicht dazu führen, dass wertvolle Zeit verstreicht, ohne dass klare Weichen für die Zukunft gestellt werden.
Denn diese Regierung wird sich nicht an ihren guten Absichten messen lassen, sondern an ihrem konkreten Beitrag zur wirtschaftlichen Renaissance Deutschlands. Und das bedeutet vor allem eines: ein entschlossenes Vorantreiben der Digitalisierung, insbesondere im Bereich der Künstlichen Intelligenz (KI). Während die USA und China Milliarden in KI und digitale Infrastrukturen investieren, kann Deutschland es sich schlicht nicht leisten, weiter zuzusehen. Die kommenden Monate entscheiden darüber, ob Deutschland in Zukunft als Innovationstreiber oder als reiner Anwender fremder Technologien dastehen wird.
Die vier größten Herausforderungen für Deutschland
Deutschland ist kein Entwicklungsland in der KI-Forschung – im Gegenteil. Deutsche Universitäten und Forschungszentren wie das Fraunhofer-Institut oder das DFKI genießen international hohes Ansehen. Doch eine starke Forschung allein reicht nicht aus, wenn es an der Umsetzung hapert.
1. Deutschland ist ein Land der Anwender geworden
Das zentrale Problem ist nicht, dass deutsche Unternehmen keine KI-Anwendungen nutzen, sondern dass sie aufgrund fehlender Infrastruktur nicht in der Lage sind, eigenständig wettbewerbsfähige
KI-Produkte zu entwickeln. Deutschland und Europa sind derzeit vollständig abhängig von Technologien aus den USA und China – von KI-Chips über Cloud-Plattformen bis hin zu den großen
Sprachmodellen. Selbst Unternehmen, die KI einsetzen, tun dies oft auf Basis ausländischer Technologie, die außerhalb europäischer Einflussnahme liegt.
2. Der öffentliche Sektor ist im Fax-Zeitalter stecken geblieben
Darüber hinaus kämpft der öffentliche Sektor weiterhin mit enormen digitalen Defiziten. Während Unternehmen gezwungen sind, effizienter zu arbeiten, hinken Verwaltung und Behörden hinterher. Die
Digitalisierung in deutschen Ämtern bleibt Stückwerk, und staatliche Institutionen, die eigentlich als Vorreiter für digitale Prozesse fungieren sollten, erweisen sich oft als
Innovationsbremse.
3. Der Fachkräftemangel bremst Innovation aus
Ein weiteres Problem ist der Fachkräftemangel. Während Länder wie Kanada, die USA oder China aktiv Tech-Talente anziehen, verliert Deutschland hochqualifizierte IT- und KI-Experten an
attraktivere Märkte. Die Kombination aus komplizierten Visa-Prozessen, hoher Steuerlast und begrenzten Karrieremöglichkeiten für internationale Fachkräfte macht den Standort unattraktiv.
4. Es fehlt an einer Zukunftsstrategie
Zudem fehlt in Deutschland eine aggressive Investitionsstrategie für Zukunftstechnologien. Während die USA mit Programmen wie DARPA gezielt Hochtechnologie fördern und China eine klare Industriestrategie verfolgt, bleibt die deutsche Industriepolitik reaktiv statt proaktiv. Das Resultat: Hochinnovative Start-ups haben kaum Zugang zu Kapital und weichen deshalb ins Ausland aus, wo sie bessere Bedingungen vorfinden.
Fünf Dinge, die unsere neue Bundesregierung jetzt tun muss
Um Deutschland aus dieser Sackgasse zu holen, braucht es ein mutiges, entschlossenes Vorgehen – und zwar sofort. Ein bloßes „Anpassen“ von bestehenden Maßnahmen wird nicht ausreichen.
1. Wir brauchen eine eigene KI-Infrastruktur
Erstens muss Deutschland dringend eine eigene, wettbewerbsfähige KI-Infrastruktur
aufbauen. Dazu gehören Investitionen in europäische Halbleiterproduktion, leistungsfähige Rechenzentren und Cloud-Plattformen, die europäische Unternehmen nutzen können, ohne von
US-amerikanischen oder chinesischen Anbietern abhängig zu sein. Unternehmen wie SiPearl oder European Processor Initiative (EPI) zeigen, dass es möglich ist, europäische Alternativen zu
entwickeln – doch sie benötigen politische Unterstützung und massive Investitionen.
2. Der Staat muss die Digitalisierung voran treiben, nicht ausbremsen
Der Staat selbst muss als Treiber der Digitalisierung auftreten. Deutschland kann sich ein ineffizientes Verwaltungssystem nicht länger leisten. Der öffentliche Sektor sollte zum Leuchtturm für Digitalisierung werden, indem er konsequent KI-gestützte Prozesse einführt, von der Automatisierung der Steuerverwaltung bis zur digitalen Bürger-ID. Estland zeigt seit Jahren, dass eine moderne Verwaltung nicht nur effizienter, sondern auch bürgerfreundlicher sein kann.
3. Es braucht ein gezieltes IT-Fachkräfteprogramm
Deutschland braucht endlich ein gezieltes Fachkräfteprogramm für KI und digitale Technologien. Statt über Migration allgemein zu debattieren, sollte die Regierung ein global konkurrenzfähiges
Tech-Talente-Visum einführen, das hochqualifizierten Experten schnell und unkompliziert Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt bietet. Zusätzlich müssen Unternehmen steuerliche Anreize erhalten, um
Spitzenkräfte zu halten und Deutschland für Investoren attraktiv zu machen.
4. Die Bedingungen für Start-ups müssen verbessert werden
Die Finanzierungsstrukturen für innovative Unternehmen müssen reformiert
werden. Start-ups im Bereich KI und Deep Tech brauchen nicht nur Kapital, sondern auch eine Umgebung, in der sie schnell skalieren können. Die Bundesregierung sollte einen Tech-Investitionsfonds
auflegen, der sich explizit auf disruptive Innovationen konzentriert – und nicht nur auf „sichere“ Mittelstandsförderungen.
5. Deutschland braucht wieder eine klare Industriestrategie
Schließlich braucht es eine klare Industriestrategie für KI. Deutschland
muss entscheiden, in welchen Bereichen es eine globale Führungsrolle übernehmen will. In der Automatisierung und Industrie 4.0 hat das Land traditionell Stärken – doch es braucht eine kohärente
Strategie, die über punktuelle Förderprogramme hinausgeht und langfristige Investitionen bündelt.
Deutschland kann es schaffen – wenn es will
Die neue Bundesregierung hat die Chance, Deutschland aus der Zuschauerrolle zu befreien. Doch das wird nicht mit vorsichtigen Korrekturen oder langsamen Reformprozessen gelingen. Es braucht einen echten Paradigmenwechsel: mehr Mut, mehr Tempo, mehr Fokus auf digitale Souveränität.
Andere Länder haben längst gezeigt, dass ambitionierte Digitalstrategien funktionieren. Die Frage ist nicht, ob Deutschland den Weg nach vorne geht – sondern wann. Wenn die neue Regierung die nächsten Monate richtig nutzt, kann Deutschland sich eine zentrale Rolle in der globalen KI-Welt sichern. Doch wenn sie zögert, wird sie nur noch hinterherlaufen.
Kurzum: Deutschland braucht jetzt Führung – und eine Regierung, die die digitale Zukunft nicht nur verwaltet, sondern aktiv gestaltet.
Über den Autor
Der Autor ist Co-Gründer von Quantum Beyond, einem europäischen Beschleunigungsprogramm für die Digitalisierung von Unternehmen. Unter dem Label Quantum Beyond Infinity liegt der Fokus auf AI-driven Organization Design, datengetriebenen Strategien und der intelligenten Mensch-Maschine-Kollaboration, um Unternehmen zukunftsfähig und wettbewerbsstark für das KI-Zeitalter aufzustellen.
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